Als das Kino begann, einem größeren Publikum die ersten Filme zu präsentieren, dürfte dem einen oder anderen Theaterleiter der kalte Schweiß auf der Stirn gestanden haben. Andere hingegen werden ob der unbekannten Konkurrenz mit den Schultern gezuckt haben. Verständlich: Wer konnte schon ahnen, dass die Menschen bald den zwanglosen Wochenendbesuch im Lichtspielhaus dem Bühnenspiel echter Menschen vorziehen würden?
Ähnlich mag es auch einigen Banken gegangen sein, als die ersten Fintechs auf den Plan traten. Im Gegensatz zum Kino-Beispiel kam hier aber auch der Gesetzgeber zur Hilfe, zuletzt mit der EU-Norm 2015/2366, besser bekannt als PSD2. Das Ziel dieser Zahlungsdienstleister-Richtlinie: europaweite Wettbewerbsförderung, in dem nicht nur Banken ein Stück vom Kuchen der Zahlungswelt abbekommen sollen, sondern eben auch Nicht-Banken, wie beispielsweise Fintech-Start-ups – so soll das Angebot erhöht werden. Außerdem will die EU den allgemeinen Sicherheitsstandard anheben und damit das Vertrauen in den Onlinehandel stärken. Hierfür wurden technische Vorgaben geschaffen, die die Banken zwingen, ihre Daten mit anderen Unternehmen über gut zugängliche Schnittstellen zu teilen. Was dem einen somit neue Möglichkeiten auf dem Markt bietet, mag für den anderen auf den ersten Blick unfair scheinen – ähnlich, wie im Fall der Telekom, die sich über Jahrzehnte ein Leitungsmonopol geschaffen hat, um es nun verpflichtend anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen.
Vertrauen gegen Agilität
Immerhin haben die Banken etwas, was den neuen Playern häufig noch fehlt: das Vertrauen einer breiten Kundschaft. Das ist nach wie vor einer der Kernpunkte, wenn es um die Finanzen der Anlegerinnen und Anleger geht. Dazu haben Banken mit ihren großen Apparaten häufig die finanziellen Möglichkeiten und auch das technische Know-how; eine gewisse Trägheit der Masse ist aber zwangsläufig die Kehrseite der Medaille. Eine Trägheit, die etwa junge Start-ups nicht als Ballast mit sich herumschleppen. Vielleicht liegt hier der wichtigste Unterschied zum Theater-Beispiel. Vielleicht müssen Banken die neuen Finanzdienstleister nicht als Konkurrenten sehen, die es mit allen Mitteln zu überflügeln gilt. Vielleicht ist Kooperation ein Weg, der beiden hilft.
So sieht man es wohl auch bei einem der ganz großen Vertreter der Etablierten, der Deutschen Bank. Entgegen dem Trend, die aufgezwungenen Schnittstellen so undurchlässig wie möglich zu gestalten, ist das Bankhaus vorgeprescht. Die Deutsche Bank hat sich nicht bloß entschlossen, seine API deutlich weiter zu öffnen, als gesetzlich vorgesehen. Sie gründete bereits vor drei Jahren die Digitalfabrik, in der neue Technologien gleich zu Beginn in Kooperation mit Fintechs zusammen entstehen sollen. Joris Hensen, Co-Leiter des API-Programms der Deutschen Bank, sieht keinen Nachteil, wenn kleinere Partner von der Kundenbasis der Bank profitieren: „Wenn andere Unternehmen unsere Schnittstelle nutzen, profitieren beide Seiten. Der Partner durch die Marke der Deutschen Bank und unsere Kundenbasis.“ Das eigene Haus wiederum erweitere im Gegenzug sein digitales Partnerangebot, was nicht nur mehr Unternehmen anziehen würde, sondern auch für die eigenen Kunden attraktiv sei.
Wer sich öffnet, profitiert
Wie vielfältig der Kundennutzen sein kann, macht Hensen an einem Beispiel deutlich, dass wohl vielen Kunden Kopfschmerzen bereitet: die Steuererklärung. So könnten die eigenen Kunden eine Software nutzen, die mit den Daten der Kontoumsätze automatisch einen Vorschlag für die Steuererklärung generiere. Das sei auch für Neukunden attraktiv, meint Hensen. Ein angenehmer Nebeneffekt für die Deutsche Bank: der Kunden-Anreiz, möglichst viele Transaktionen über das gescannte Konto laufen zu lassen.
In PSD2 sieht Hensen deshalb auch eher eine Chance als ein Problem für die Branche. Nicht wegen des Zwangs zu einer neuen Öffnung gegenüber Dritten. Da sei man in Deutschland durch FinTS (oder ehem. HBCI) bereits vorher gut aufgestellt gewesen. Aber eine EU-weite Vereinheitlichung sei sicher vorteilhaft. Dennoch: Während PSD2 erst diesen Herbst so richtig startet, hat die Deutsche Bank die API-Pforten bereits 2017 geöffnet. Zwei Jahre Vorsprung, die die Bank genutzt hat. Aus der API-Politik entsprangen Projekte wie Finanzguru oder Yunar, eine App zur Aggregation von Kundenkarten. Das funktioniert laut Hensen auch deshalb so gut, weil man über die Anforderungen der neuen Richtlinie hinausgehe, wo es denn Sinn mache: „Wenn ein Unternehmen Daten nutzen möchte, die wir noch nicht per API anbieten, kann das Unternehmen mit uns dazu in den Austausch gehen.“
Für einen solchen Schritt braucht es vor allem Vertrauen in die Technik und die neue offene Firmenpolitik. Das eigene Top-Management zumindest habe dieses Vertrauen schnell aufgebracht und das API-Projekt vor den Toren Frankfurts unterstützt. Hierfür war freilich Überzeugungsarbeit notwendig. Als entscheidenden Faktor macht Joris Hensen heute einen externen Hackathon im Jahr 2016 aus, aus dem Finanzguru entstand und die Kunden der Deutschen Bank erstmals über eine Schnittstelle von dem neuen Angebot Gebrauch machen konnten. Ein Gamechanger, mindestens für die Deutsch Bank, vielleicht aber darüber hinaus. Hensen jedenfalls sieht das eigene Haus am Anfang einer „API-fizierung“, der nun ein Modulangebot der eigenen Produkte folgen soll, die die Partner niedrigschwellig in die eigenen Produkte verbauen könne.
"Mit jedem weiteren Erfolg läuft es sich besser in Turnschuhen"
Auch wenn in der Rückschau alles nach reibungslosem Ablauf aussieht, so sei gleichwohl ein internes Umdenken notwendig gewesen. Nachvollziehbar, trifft doch eine Öffnung der eigenen Datensätze gegenüber externen Firmen auf ein lange gewachsenes protektionistisches Banker-Verständnis. Aber auch die Vermischung aus Finanzexpertise und IT-Welt sei mitunter nicht ganz leicht. So würden die neuen Kollegen in Jeans und Turnschuhen noch häufig mit Skepsis betrachtet, gesteht Hensen: „Aber mit jedem weiteren Erfolg läuft es sich besser in Turnschuhen“.
Im Grunde ist das übergeordnete Ziel ja auch nicht, die interne Kleiderordnung abzusegnen, sondern vielmehr dem Kunden das Leben zu erleichtern. Durch omnipräsente Vergleichs-möglichkeiten des Internets tun Anbieter wohl gut daran, dem Kunden erst gar keinen Grund zu geben, solche Vergleiche anzustellen, es sei denn in einer dafür vorgesehenen Schnittstellen-Lösung. Dabei muss der Kunde nicht einmal merken, dass er von einer Zusammenarbeit zweier Finanzdienstleister profitiert.
Das gilt mitnichten nur für die Deutsche Bank.
So dürfte es die wenigsten fashioncheque-Nutzer interessieren, was hinter den Kulissen beim Kauf einer neuen Jeanshose passiert. Wichtig ist nur, dass man über eine einzige Geschenkkarte in zigtausend Mode-Geschäften einkaufen kann. Was der Kunde nicht sieht, ist die dahinter stehende Notwendigkeit einer E-Geld-Lizenz, da sich das auf die fashioncheque-Karte eingezahlte Geld in einem offenen Zahlungssystem befindet. Die bekommt es über die Schnittstelle von der Solarisbank. Diese machte aus der Not der schon damals bekannten PSD2-Anforderungen eine Tugend und ermöglicht dem Kartenanbieter seit drei Jahren einen vergleichsweise unkomplizierten Einsatz der Shopping-Karte in vier Ländern.
Banken denken häufig innovativer, als das Image es vielleicht vermuten ließe. Voraussetzung bleiben aber das Vertrauen der Führungsriege und die Wahl der richtigen Partner. Viele Mitbewerber sind vielleicht auch deshalb noch nicht derart in die Kooperations-Offensive gegangen. Das verwundert – immerhin haben fast neun von zehn Banken laut einer pwc-Studie aus dem Jahr 2018 die Kooperation mit Fintechs fest in ihren strategischen Plan eingebunden. Ebenfalls 90 Prozent derer, die schon Kooperationen eingegangen sind, sind im Nachhinein mit diesen zufrieden. Das Vorpreschen der Deutschen Bank dürfte dazu einen zusätzlichen Druck in den Markt gebracht haben.
Generell also steht das Thema Open Banking auf den Tagesordnungen der Banken-Meetings bereits jetzt weit oben. Nur ist es etwas anderes, den Gedankenspielen auch Taten folgen zu lassen. Will man dann der Konkurrenz einen Schritt voraus sein, ist die notwendige Entwicklungsarbeit auch nicht über Nacht erledigt. So kann es durchaus sein, dass einige Banken sich langsam aus der Deckung wagen müssen, damit es ihnen nicht ergeht, wie einst Nokia auf dem Handymarkt.
Eines ist aber auch klar: Theater gibt es für Genießer und Kultur-Liebhaber auch heute noch, viele Kinos hingegen leben, wenn überhaupt, mehr vom Popcorn als von Eintrittsgeldern. Erst hat der Fernseher einen großen Teil der Kinozeit bekommen, dann die Streaming-Dienste. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten und sie verläuft nicht immer so, wie man es auf den ersten Blick denken würde. Das mag man bedauern. Schlauer aber dürfte es sein, nicht nur die Gefahr im Neuen zu sehen, sondern die PSD2 als das zu begreifen, was sie eben auch sein kann: eine große Chance, dem Kunden etwas zu bieten.
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