Der Aufschwung der Insurtechs und die Renaissance der Bancassurance
InsurTechs verzeichneten zuletzt, also vor der Corona-Krise, Rekordinvestitionen in Deutschland. Es vergeht auch jetzt kaum eine Woche, in der nicht neue Erfolgsmeldungen durch die Medien gehen. Ein in diesem Kontext besonders spannendes Spielfeld, die Wiederbelebung der Bancassurance, bietet attraktive Chancen für Marktteilnehmer aus allen Bereichen der Finanzdienstleistungsbranche, meint Christopher Schmitz, EMEIA Fintech Lead bei EY Parthenon.
Trendthema InsurTech
Als um das Jahr 2015 herum der Begriff FinTech langsam die Öffentlichkeit und Vorstandsetagen erreichte, schien das Ende der Finanzdienstleistungen, wie wir sie damals kannten, unmittelbar bevorzustehen. Seitdem hat sich viel verändert. Die Geschäftsmodelle wurden ausgefeilter und die Digitalisierung scheint nicht zuletzt durch COVID-19 auch in der Fläche mehr Akzeptanz zu gewinnen. In besonderem Maße trifft dies auch auf die Versicherungsbranche zu, welche zuletzt vergleichsweise stark in den Fokus der Konsumenten gerückt ist.
Während der Krise konnten insbesondere viele Startups neue Kunden gewinnen und ihr Geschäft ausweiten. Damit dürften sich die Erwartungen der steigenden Anzahl von Finanzinvestoren und Arbeitnehmern, welche dem angestaubten Image der Versicherer entkommen möchten, auch nachhaltig bewahrheiten. Einige der Finanzierungsrunden spielten sogar in der Topliga der hiesigen FinTech-Finanzierungen mit: zum Beispiel wefox mit einer Series-B in Höhe von 235 Millionen USD oder Ottonova mit 60 Millionen Euro.
Nach wie vor dürfte noch viel unentdecktes Potenzial in der komplexen Produkt-, Prozess- und Systemlandschaft der Versicherungswirtschaft schlummern. Im heutigen Beitrag möchten wir uns einen der Gründungsmythen der InsurTechs, nämlich dem Bereich Allfinanz und Bancassurance näher anschauen.
Bancassurance oder Assurance-Banking?
Das Konzept Bancassurance, also der Vertrieb von Versicherungsprodukten durch Banken, gibt es schon lange. Während die Bancassurance in Ländern wie Spanien, Frankreich und Portugal eine zentrale Rolle im Versicherungs-vertrieb einnimmt, ist dieser Vertriebsweg in Deutschland weniger stark ausgeprägt. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, haben zahlreiche InsurTechs dieses Thema sehr früh aufgegriffen. In den letzten Jahren wurde dabei immer klarer, dass eine Weiterentwicklung nur über Kooperationen im B2B- oder B2B2C-Bereich erfolgreich wachsen kann. Der Bereich Bancassurance wird dabei von mehreren Seiten aus angegangen. Einerseits versuchen Versicherer und deren Vertriebe stärker auch andere Finanzdienstleistungen einzubinden, um Ihre eigene Kundenpositionierung zu stärken. In der neuen digitalen Welt leiden Versicherer umso stärker unter der althergebrachten Herausforderung eines (1) Mangels an echten Differenzierungsmerkmalen, (2) seltenen und häufig negativ besetzten Interaktionspunkten wie Zahlungsaufforderungen oder Schäden, und (3) als Folge daraus einem Mangel an echten Ansatzpunkten für die Nutzung des vorhandenen Datenhaushaltes. Beispiele für Lösungsansätze der eben genannten Herausforderungen gibt es zahlreiche.
Das InsurTech Clark beispielsweise betreibt einen der erfolgreichen deutschen Endkunden-Versicherungsmanager und fungiert gleichzeitig als Softwareentwickler für mehrere Banken. Ähnlich startete das deutsche Unicorn wefox, welches sich, ursprünglich unter dem Namen financefox, als digitaler Policenverwalter positionierte und in den Folgejahren immer stärker auf den Vertrieb von Versicherungen spezialisierte. Auch friendsurance, ein Unternehmen das bereits 2010 mit einem innovativen Peer-To-Peer Versicherungsmodell startete, fokussiert seit 2017 die Unterstützung von Banken bei der Entwicklung von digitalen Versicherungsmanagern.
Gleichzeitig experimentieren die etablierten Versicherer auch mit Eigenlösungen. Beispielsweise bietet die Nürnberger Versicherung Ihren Kunden bereits seit 2017 die Multibanking-App bankz. Diese bietet Funktionalitäten zur Analyse von Kontodaten sowie individuelle Empfehlungen zur Finanz- und Lebenssituation. In einem ähnlichen Kontext hat die Allianz HeyMoney (früher iconic finance), ein vollständiges Ökosystem für Finanzen, Versicherungen und Versorgungs-verträge an den Markt gebracht, welches Kunden eine 360° Analyse Ihrer Finanzen ermöglichen soll.
Natürlich werden solche Konzepte nicht ausschließlich in der Versicherungsbranche aufgenommen. Sie werden auch aus umgekehrter Richtung von Banken in die Versicherungsbranche getragen. Neben der Vertiefung bereits bestehender Kooperationen zwischen den großen deutschen Geldhäusern mit ihren Versicherungspartnern, ist die Entwicklung sehr gut am Beispiel der Neobanken nachzuvollziehen. So initiierte N26 schon 2017 eine Kooperation mit Clark. Auch Großbanken wie die ING oder Deutsche Bank gingen bereits in den Jahren 2017 und 2018 ähnliche Partnerschaften mit InsurTechs ein.
Damit verschwimmen die Grenzen zwischen traditionellen Rollenbildern von Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltern im Zuge der digitalen Welt zunehmend. Häufig werden finanznahe Dienstleistungen auch durch weitere Mehrwertservices angereichert. Am Ende dieser Entwicklung stehen digitale Ökosysteme, in welchen Kunden alle Ihre finanziellen und weiteren Belange innerhalb einer Financial Home Plattform verwalten können. Warum diese Entwicklung ausgerechnet in den letzten Jahren so sehr zugenommen hat, schauen wir uns in einem zweiten Beitrag auf Seite 20 an.
In eigener Sache
Auch die Sparkassen sind im Bereich Bancassurance sehr aktiv und arbeiten innerhalb des deutschen Sparkassenverbandes an einer übergreifenden Lösung, dem sogenannten Sparkassen-Versicherungsmanager. Daneben gibt es weitere Initiativen des Rheinischen Sparkassenverbands (RSGV) und der Provinzial Rheinland sowie aus dem Umfeld der Sparkasse Duisburg.
Autor: Autor: Bastian Hengstler Manager bei EY Parthenon