Goldilocks Ausgabe 09 | Page 5

Titelstory


Fintech reloaded - Die Immobilien-wirtschaft erfindet sich neu


Lebensfreude, Sicherheit, Komfortzone. Es gibt viele Attribute, die Immobilienkäufer mit den eigenen vier Wänden verbinden, die weit über die einer Kapitalanlage hinausgehen.



Lange untrennbar damit verknüpft war für viele der obligatorische Gang zur nächsten Filialbank.

Dabei funktionierte die Baufinanzierungsberatung über
viele Jahre hervorragend.

Doch sieht sie sich jetzt einer Vielzahl an alternativen Möglichkeiten der Konkurrenz ausgesetzt. Online-Börsen und Vergleichsportale lassen nicht nur die Besichtigung von deutlich mehr Projekten zu, die Online-Recherche hilft auch bei der Einordnung der angebotenen Konditionen.

Unter anderem durch diese Entwicklung bildete sich in den vergangenen Jahren das Buzzword PropTech heraus, das stellvertretend für eine Branche steht, in der Dienstleistungen rund um Immobilien durch Technologie verändert werden. Die Wortschöpfung setzt sich dabei zusammen aus den Wörtern Property und Technology.

Innovatives liefern aber nicht immer nur die High-End-Lösungen. Das Hamburger Startup Wertfaktor kommuniziert das ganz offen. Im Grunde verfolgt es einen alten Weg in modifiziertem Gewand: Es bietet umgekehrte Baufinanzierungen an. Kunden können ihre Immobilie zu Teilen an das Startup veräußern und erhalten einen entsprechenden Geldbetrag, der für sofortige Liquidität sorgt. Gründer Christoph Neuhaus selbst sagt, dass das Modell im Grunde auch vor vielen Jahren funktioniert hätte. Allein: Das Auffinden der passenden Geschäftspartner wird in ausreichender Quantität erst in der vernetzten Welt möglich. Davon profitiert das Wertfaktor-Modell. Eine mögliche Kernzielgruppe ist etwa die der Rentner mit eigener Immobilie aber unzureichendem Barvermögen, die bei ihrer Bank keinen Kredit mehr bekommen. Bestand für diese früher vor allem die Möglichkeit, die eigenen vier Wände zu veräußern und sich selbst ein Nießbrauchsrecht einräumen zu lassen, adaptiert Wertfaktor das Modell nun – ohne vollständiges Eigentum zu erwerben. Der Kunde veräußert seine Immobilie nur zu einem Teil und zahlt ein vereinbartes Nutzungsentgelt. Rechnet er mit einer Wertsteigerung seiner Immobilie, kann er etwa heute 25 Prozent veräußern und in zehn Jahren noch einen ebenso großen Anteil nachlegen. Ob das Modell in der jeweiligen Lebenssituation sinnvoll oder überhaupt geeignet ist, ist sehr individuell. Hier hilft der digitale Faktor, passende Geschäftspartner ausfindig zu machen.


Sparkassen
werden innovativ

Egal ob High-Tech-Lösung oder kleine Modifizierung, bekannt sind die digitalen Möglichkeiten natürlich auch den Sparkassen. Allerdings fehlt es gerade vielen kleineren Vertretern schlicht an den technischen oder auch finanziellen Möglichkeiten für große Innovationen. Möglicherweise aber ist es nötiger denn je, auch über eigene Lösungen nachzudenken oder die Verwirklichung größerer Projekte in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Region proaktiv anzustoßen. Der Aufwand dafür kann durchaus unterschiedlich ausfallen. So geht etwa die Ostsächsische Sparkasse Dresden einen neuen Weg auf dem Tätigkeitsfeld der Immobilien. Ganz im Stile der ganzheitlich denkenden Konkurrenz, will die Sparkasse dabei nicht nur den Verkauf und die Finanzierung von Wohnraum anbieten, sondern den Käufer in deutlich mehr Lebenslagen begleiten. Zum neu startenden Projekt „RaumGewinn“ gehören dann auch die Unterstützung von Bauherren durch die Vermittlung von Handwerkern oder die Beratung beim Einbau einer Wallbox, also einer Ladestation in der Garage, die für das schnelle Laden der E-Auto-Batterie sorgt. Im Kern steht der Offline-Ansatz, Mitte des Jahres soll ein großer Showroom die Möglichkeiten modernen Wohnens aufzeigen, die die Sparkasse dann in All-in-one-Paketen anbieten oder vermitteln kann.

Für den digitalen Teil hat sich die Sparkasse mit Homefox Expertise an Bord geholt. Als Projektmanagement-Tool möchte das Unternehmen das Ökosystem rund um die Immobilienfinanzierung in einer App bündeln. In der Kooperation weist die Sparkasse Homefox als digitalen Arm aus, der die Kunden in den jeweiligen Lebensphasen begleitet. „Natürlich ist auch eine Verfügbarkeit online sehr wichtig”, erklärt Marit Chwalczyk, Referentin für Bauen & Immobilien bei der Sparkasse Dresden, im Gespräch mit GOLDILOCKS. Bei einem Geschäftsgebiet mit den räumlichen Ausmaßen des Saarlandes sei es dem Kunden kaum zuzumuten, für jede Entscheidung am Immobilien-Projekt eine weite Anfahrt in Kauf nehmen zu müssen. Das Projekt ist aber eben auch deshalb so spannend, weil es nur indirekt von der Digitalisierung profitiert. Laut Chwalczyk ist die Kundenakzeptanz von Ökosystem- und Netzwerk-Gedanken enorm gestiegen, seit man diesen in anderen Bereichen regelmäßig begegnet. Davon könne nun auch die Finanzbranche profitieren.

Das gilt insbesondere für Sparkassen, die digitale Möglichkeiten perfekt mit ihrer Kernkompetenz kombinieren können: der Vernetzung vor Ort.

So habe man bei der Ostsächsischen Sparkasse Dresden trotz der Zusammenarbeit mit teilweise großen Playern auf eine Vor-Ort-Vernetzung geachtet. Gerade die kleinen Partner böten dabei enorme Vorteile, sagt Chwalczyk: „Verhandlungen mit kleinen Startups oder auch einzelnen Handwerkern sind häufig deutlich einfacher.” Ein interessanter Ansatzpunkt im Übrigen für kleinere Sparkassen, die aus eigener Kraft so aufwendige Projekte wie RaumGewinn kaum stemmen könnten. Neben der angestrebten Kundenbindung eröffnen sich so auch neue Ertragsmöglichkeiten, etwa durch Provisionseinnahmen oder Werbefinanzierungen.


Service wird honoriert

Das Kundenverhalten sei variabler geworden, sagt die Expertin. Die Sparkasse nehme einen Kundenkontakt oft erst wahr, wenn der Kunde mit einem konkreten Anliegen in der Filiale erscheint. Für den Kunden selbst geht der Kontakt aber bereits früher los, etwa, wenn er online eine Überweisung über die App seiner Sparkasse tätigen möchte. Eine schlechte Benutzerfreundlichkeit bedeutet für den Kunden dann bereits einen schlechten Eindruck im Kontakt mit seiner Sparkasse. Hier müsse man beide Situationen betrachten, offline seine Stärken ausspielen und online zeitgemäß reagieren. Erst die Kombination macht es für die Immobilien-Referentin rund. Hier sieht Marit Chwalczyk auch noch am ehesten einen Nachholbedarf in Teilen des Sparkassen-Verbandes. Aber weder das reine vermeintlich innovative Online-Modell sei der richtige Weg, noch das ausschließliche Festhalten an Schaufenster-Aushängen. Der Weg in Dresden führt durch die Mitte und umfasst viele Bereiche – ähnlich einem Wedding Planer, der alle Kalkulationen für den schönsten Tag des Lebens übernimmt und auch daran denkt, dass noch die Briefmarken für die anschließenden Danksagungen im Budget kalkuliert werden müssen. Service wird belohnt.

Das Sparkassen-fremde PropTech Home hat mit einer ähnlichen Richtung gerade elf Millionen Euro Kapital eingesammelt. Mit Home können Vermieter die Wertentwicklung einer Immobilie oder Zahlungen ihrer Mieter zentral und unkompliziert nachverfolgen.

Denkbar sind viele weitere Schritte. So könnte eine Sparkasse ihren vermietenden Kunden beispielsweise eine Factoring-Option einräumen, sodass diese sich gegen Gebühr keine Sorgen um den pünktlichen Eingang der Miete machen müssen und Finanzierungsprojekte sicher planen können. Das kundenbindende Element hierbei dürfte enorm sein. Mögliche Zukunftsmusik. Ebenfalls noch nicht ganz ausgereift, dafür aber nicht minder innovativ, sind die Ergebnisse des Symbioticon 2019. Unter dem Motto #beyondtomorrow erarbeiteten kleine Teams im Rahmen eines Hackathons mögliche Projekte, die Sparkassen beim Sprung in den zeitgemäßen Umgang mit Immobilien zum Vorbild gereichen könnten. So hat sich ein Team mit dem Trend zum Single-Leben auf der einen Seite und der steigenden Akzeptanz von Co-Living-Lösungen jenseits der Studenten-WG auf der anderen beschäftigt. Über einen ganzheitlichen Ansatz könnte man passende Wohnpartner zusammenbringen und die Immobilien gleich von der Crowd über Fonds finanzieren lassen. Ein anderes Team schlägt vor, den Immobilienmarkt volatiler zu gestalten. Ein verkaufsbereites Objekt sei demnach nur deswegen nicht schon frühzeitig auf dem Markt, weil der Verkäufer schlicht noch kein neues Zuhause gefunden hätte. Über eine Optimierung und den Vergleich von Suchkriterien könnte eine App zueinander passende Vertragspartner zusammenbringen. Beide Modelle erinnern ein wenig an Online-Partnerbörsen, ersparen in der Theorie beiden Parteien viel Zeit und Aufwand sowie den Zwischenhändler und sichern der vermittelnden Sparkasse je nach Ausgestaltung gleich für zwei Seiten die Provision. So werden eben jene Vorteile von Vernetzung genutzt, die auch Wertfaktor und seine Kunden zusammenbringt.

Wenn das Aufkommen der PropTech so manchem Sparkassen-Vertreter noch Sorgen bereitet haben dürfte, können die genannten Beispiele aber durchaus Mut für die Zukunft verbreiten; nicht trotz, sondern gerade wegen der traditionellen Strukturen der Sparkassen – nur eben mit dem Blick über den Tellerrand hinaus.