Goldilocks Ausgabe 13 | Page 7

Autor : Clas Beese Co-Founder von finletter
Autorin : Caro Beese Co-Founderin von finletter

NEW WORK AUSGABE 13

Bild : Sparkassen Innovation Hub

TITELSTORY

LESEDAUER : 10 MIN

NEW WORK

EINE STRATEGIE IM WETTBEWERB UM DIE BESTEN TALENTE

Banken brauchen einen Purpose , der auch zu ihren Mitarbeiter : innen passt .

Der März 2020 dürfte für viele Finanzunternehmen in ihre Geschichte eingehen : In Deutschland wurde der erste Corona- „ Lockdown “ verkündet . Wer konnte , schickte seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause . Auf einmal mussten in kürzester Zeit möglichst viele Mitarbeitende so ausgestattet werden , dass sie von dort weiter arbeiten konnten . Für manche Unternehmen dürfte es nur die Bestätigung gewesen sein , dass sie in Sachen Digitalisierung auf einem guten Weg sind . Für andere war es ein entscheidender Tag : Ab hier mussten sie digitaler werden – oder riskierten , weiter an Attraktivität als Arbeitgeber zu verlieren .

Noch nie war der Begriff New Work so präsent in der Arbeitswelt wie seit Beginn der Pandemie . Meistens ging und geht es dabei um die Populärdefinition , in der New Work ein Oberbegriff für alle Veränderungen der Arbeitswelt ist , die vor allem die Digitalisierung mit sich bringt . Konzepte , die zu New Work gezählt werden können , sind flexible Arbeitszeitmodelle , Remote Work , moderne Arbeitsplatzorganisation , Co-Working , flache Hierarchien und vieles mehr .

Der Begriff hat jedoch eine etwas andere Herkunft : Der deutsch-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann prägte ihn seit den siebziger Jahren . Er starb im Mai 2021 , erlebte also noch , wie die Corona- Pandemie dafür sorgte , dass New Work in bis dahin für zu verstaubt gehaltene Unternehmen Einzug hielt . Arbeitgeber , die gestern noch als starr galten , mussten ihre Denkweisen aufbrechen , um ihren Mitarbeiter : innen gerecht zu werden , die im Lockdown zu Hause saßen , teilweise gleichzeitig Kinder betreuten . Besprechungen waren plötzlich alle digital , und ein klassisches „ 9 to 5 “ war vielen Mitarbeitenden schlicht nicht mehr möglich . Was Bergmann nicht mehr erleben wird , ist , ob die Gesellschaft es schafft , den anderen , wesentlich wichtigeren Teil seiner New-Work-Definition auszuleben : Im Kern stand für Bergmann nämlich immer , dass Menschen diejenige Arbeit finden sollen , die sie „ wirklich wirklich wollen “. In seinem Buch „ New Work New Culture “ beschreibt er ein zutiefst kapitalismuskritisches Modell und eine mögliche neue Arbeitswelt : Ein Drittel ihrer Arbeitszeit sollen Arbeitnehmer : innen demnach mit ihrer klassischen Erwerbsarbeit verbringen und ein weiteres mit dem , was er Calling nennt , am Besten übersetzt wohl mit Berufung . Das letzte Drittel nannte Bergmann High-techself-providing , sprich : Die Menschen sollen unabhängiger von ihrer Lohnarbeit werden , indem sie moderne Mittel dafür einsetzen , sich zum Teil selbst zu versorgen . Nach Bergmanns Definition geht es bei New Work also darum , was und wozu wir arbeiten . Wenn Unternehmen allerdings heute New Work machen , geht es meistens eher darum , wie gearbeitet wird . Natürlich ist auch das Wie heute mehr als noch vor einigen Jahren , als Loungemöbel in einem gemütlichen Aufenthaltsraum noch revolutionär waren . Heute geht das allgemeine Verständnis schon deutlich weiter : „ New Work ist dramatisch mehr als ein Kickertisch oder weiße Sneakers “, sagte etwa Olaf Oesterhelweg , Vorstand der Hamburger Sparkasse ( Haspa ), im Gespräch für diese GOLDILOCKS-Ausgabe . „ Es braucht einen wirklich tiefgreifenden Veränderungsprozess , um tatsächlich eine Wirkung zu erzielen , nicht nur Symbolik .“ Er bezeichnet New Work als „ die notwendige Antwort auf die großen Umwälzungen der Digitalisierung “.

Für Oesterhelweg ist es aber richtigerweise mehr als eine Frage der Digitalisierung : „ Die neuen Generationen auf dem Arbeitsmarkt haben ganz andere Anforderungen : Sie bringen die Sehnsucht schon mit , dass Arbeit einen Sinn haben soll . Für uns stellt sich gar nicht die Frage , ob , sondern nur wie wir darauf eingehen .“ Denn wer noch nach dem Ob fragt , der hat im Wettbewerb um Talente schon verloren , der hat also kaum eine Chance , in seiner Personalsuche an die richtig guten Leute zu gelangen .

Bei der Haspa , Deutschlands größter Sparkasse , genießt deshalb nach Oesterhelwegs Bericht der Bereich für Transformationsmanagement die „ Freiheit , durch den Vorgarten von etablierten Unternehmensbereichen zu laufen und in ein fein geharktes Blumenbeet ein bisschen in Unordnung zu bringen , um dann dort einen Abenteuerspielplatz aufzubauen “. Hinter der schön klingenden Metapher steckt am Ende die Einsicht , dass die Sparkasse sich nicht mehr auf ihrer Firmengeschichte und ihrem historischen Erfolg ausruhen kann . Wie die Mitarbeiter : innen in ihrer Arbeit einen Sinn finden können , darauf hat Oesterhelweg allerdings keine konkrete Antwort . Wie auch ? Neun von zehn Arbeitnehmer : innen können die Frage , was sie „ wirklich , wirklich arbeiten wollen “, selbst nicht einmal beantworten .

Die Berufung – für die meisten ein Mysterium

Wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden bei der Suche nach dem Calling unterstützen können , damit experimentiert zum Beispiel die Deutsche WertpapierService Bank ( dwpbank ).

Nadine Schreyer ist dort in ihrer Regeltätigkeit als Inhouse Consultant für die Identifizierung und aktive Umsetzungsbegleitung der von Optimierung , Automatisierung und Outsourcing bestimmenden Prozesse in der Bank zuständig . Seit zwei Jahren treibt sie außerdem das Thema „ Know why “ in Workshops mit Mitarbeitenden und Führungskräften voran . „ Know why “ ist bei ihr und in der Bank das , was Bergmann als Calling bezeichnet . Schreyer beschreibt unternehmensinterne Begegnungen mit Skeptiker : innen , die der Calling-Frage kritisch gegenüberstehen . „ Hier gilt es , Ängste , Störgefühle und Vorbehalte in den Workshops zu nehmen und die Themen gemeinsam zu erarbeiten “, sagt sie . Dafür gebe es auf Ebene der Vorstände Zuspruch für das Thema „ Know why “, und es sei ein Teil des Kulturwandels der Organisation .

Mehr als Zuspruch gibt es bei der Hamburger Neobank Tomorrow . Deren Mitgründer Michael Schweikart hat schon vor drei Jahren die Vision geäußert , Tomorrow solle Vorreiter für das Thema New Work werden . So erzählt es Katrin Schwerdtner , Head of People & Culture . Ihr Job dreht sich ganz viel um das individuelle Calling , aber auch um den Purpose , quasi das Wozu auf Ebene der Organisation . „ Creating a better future for everyone by using money as a force for good “, lautet der knackige Purpose des Start-ups . Schwerdtner sagt ihm eine „ starke Strahlkraft “ nach .

Haspa-Vorstand Oesterhelweg erklärt , der Purpose müsse „ tief in einer Organisation verankert sein , sonst wirkt er aufgesetzt und ist nur Fassade “. Den Purpose der Haspa gibt es schon seit 1827 . Er sei ganz fest „ mit der Sparkassen-Idee verwoben “: Sparkassen seien keine normalen Banken , sondern etwas Besonderes : regional verankert , gemeinnützig und wirklich nah dran am Menschen .

Es braucht eine Calling-Purpose- Passung .

Wie hängen nun das individuelle Calling und der organisationsbezogene Purpose zusammen ? Wenn sie zueinander passen , verspüren Mitarbeiter : innen eine größere Motivation , für das Unternehmen zu arbeiten . Die Identifizierung und die emotionale Bindung sind größer .

Ein Blick in den branchenübergreifenden „ Engagement Index “ des Markt- und Meinungsforschungsinstitutes Gallup von 2020 verrät : Mehr als 80 Prozent der Arbeitnehmer : innen in Deutschland haben keine oder nur eine geringe emotionale Bindung zu dem Unternehmen , in dem sie arbeiten .

17 Prozent haben demnach eine hohe emotionale Bindung . Diese motivierten , emotional gebundenen Mitarbeiter : innen braucht eine Organisation , um sich überhaupt verändern zu können . Und Veränderung ist schlicht überlebensnotwendig für Unternehmen .

Emotionale Bindung

hoch :

17 %

keine :

15 %

gering :

68 %

… der Mitarbeiter : innen an ihr Unternehmen laut „ Engagement Index ” des Marktund Meinungsforschungsinstitutes Gallup . Während des ersten Jahres der Corona- Pandemie hat sich die emotionale Bindung der Arbeitnehmer : innen an ihren Arbeitgeber leicht erhöht .

Wie gut Calling und Purpose zusammenpassen , kann also über das Fortbestehen eines Unternehmens entscheiden . Bei Tomorrow ist die Passung außerordentlich gut : Auf der einen Seite hat das Unternehmen einen klar definierten Purpose , der auch gelebt wird . Auf der anderen Seite sei der große Wunsch zu spüren , „ einen Arbeitgeber zu finden , dessen Produkt und dessen Werte mit den eigenen Werten und Überzeugungen übereinstimmen “, erklärt Schwerdtner . Im Recruiting-Prozess von Tomorrow wird die Passung auch berücksichtigt : „ Es muss eine Person sein , die sich identifizieren kann mit der Kultur , die wir etabliert haben , mit dem Purpose , den wir für uns formuliert haben , und mit unseren Werten , die ganz maßgeblich beschreiben , wie wir zusammenarbeiten und gemeinsam Entscheidungen treffen wollen .“

Ein klar definierter Purpose macht es Tomorrow im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter : innen verhältnismäßig leicht . Für ein traditionsreiches Institut wie die Haspa ist das schon deutlich schwieriger . „ Wir müssen den Purpose immer wieder modern interpretieren und für künftige Generationen interessant machen “, sagt Oesterhelweg . Er glaubt aber , dass die „ Sparkassen hervorragend aufgestellt sind , das zu können “.

Diese Flexibilität ist enorm wichtig : Organisationen müssen einen Purpose finden , formulieren und immer wieder hinterfragen . Gleichzeitig sollten sie ihre Mitarbeiter : innen nach Kräften dabei unterstützen , ihr Calling zu erreichen . Im besten Fall passen diese beiden dann zusammen .

Es gibt einen derartigen Wettbewerb um die besten Talente , dass es heute nicht mehr reicht , seinen Mitarbeitenden ein ordentliches Gehalt zu zahlen . Vernünftigerweise stellt eine Organisation die Mitarbeiter : innen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt . Nur so kann die Passung von Calling und Purpose gelingen , nur so bleibt ein Unternehmen wandlungs- und damit zukunftsfähig .

Autor : Clas Beese Co-Founder von finletter
Autorin : Caro Beese Co-Founderin von finletter
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