Goldilocks Sonderausgabe: Trendstudie | Page 5

Essay


Vom Kunden aus denken


Prof. Peter Wippermann



Casual Banking ist ein Arbeitsbegriff, der die digitale Transformation der Sparkassen auf den Kopf stellt und sie aus der Perspektive des Kunden beschreibt. Die Mitglieder der Gen Y, geboren in den frühen 1980er bis in die späten 1990er Jahren, sehen ihr Handy inzwischen als Körperteil an. Sie geben uns Auskunft darüber, wie sich das Verhältnis zwischen Kunden und Bank verändert. 353 Minuten waren sie 2018 täglich im Internet. Ihre Nutzungsdauer stieg im Vergleich zu 2017 um 79 Minuten. Ihr Verhalten im Alltag hat sich durch das Internet und die Smartphones
grundlegend geändert. 49,9 Prozent der 16- bis 34-Jährigen kommunizieren heute schon lieber digital als von Angesicht zu Angesicht. Das verändert natürlich auch ihren Umgang mit Geld. Nähe wird von ihnen als digitale Erreichbarkeit verstanden. In Echtzeit Verbindungen aufzubauen, immer und von überall, ist für die Gen Y selbstverständlich geworden. Ihre Sehnsüchte und Ängste zu verstehen, ist das Thema dieser Studie „Casual Banking“.

Der Begriff „casual“ bedeutet „locker“, „informell“, „zwanglos“ und begegnet uns häufig in der Mode. „Casual“ kennzeichnet Freizeit und persönliche Vorlieben. Es ist Ausdruck der gelebten Individualität. Sweater-Outfits und Hoodies sind längst zum Symbol der Start-up-Szene aufgestiegen. Mark Zuckerberg hat es beim Börsenhang mit Hingabe demonstriert. Die Schlipsträger waren seine Sicherheitsleute, er aber trug einen Hoodie.

Was hat das nun mit dem Image und der Organisation der Sparkassen zu tun? Wir erinnern uns, dass die Führungspositionen der Sparkassen bis 1980 gekoppelt waren an den Beamtenstatus. „Bankbeamte“ trugen Anzüge, Schlipse und Kostüme. Selbst die Farbe und das Muster der Socken wurden vorgeschrieben. Die Institution hatte ihre Regeln. Das ist natürlich längst
Geschichte. 2015 startete die Hamburger Sparkasse eine Kampagne in den Sozialen Medien und auf den Plakatwänden der Stadt: „Wir sind in Ihrer Nähe, vor Ort und digital.“ Ziel war es, den 5.000 Mitarbeitern einen Namen zu geben und ein Verhältnis auf Augenhöhe zu kreieren. Aktuell werden die Filialen als soziale Treffpunkte in den Stadtteilen umgebaut. Zusammen mit
Kunden und Nicht-Kunden sowie Mitarbeitern wurden die innovativen Konzepte entwickelt. Das ist ein großer Schritt zur Öffnung der Sparkassenkultur. Dies ist noch kein Casual Banking. Was aber bleibt vom Image und der Markenqualität der Sparkassen, wenn der Kunde nur noch das Interface wahrnimmt? Mit seinem Laptop vom Sofa aus seine Bankgeschäfte organisiert? In der Kneipe seinen Anteil der Zeche per P2P begleicht? Und mit einem Klick die Bezahlung beim Online-Shopping erledigt? Oder, mit einem Blick in die nahe Zukunft, per Sprache seine Bankgeschäfte erledigen will?

Studienspezifikation



Zielgruppe
Generation Y: 22- bis 38-Jährige
Quotiert nach Alter, Geschlecht und Region, (Mit-)Entscheider in Finanzangelegenheiten

Stichproben
n = 1000

Fokusgruppe
20 Teilnehmer jeweils in Hamburg und Erlangen

Methode
Online-Interviews im YouGov-Panel


Der Kunde rückt in den Mittelpunkt des neuen Businessmodells. Was aber bleibt vom Image und der Markenqualität der Sparkassen, wenn der Kunde nur noch das Interface wahrnimmt? Mit seinem Laptop, vom Sofa aus, seine Bankgeschäfte organisiert. Die großen deutschen Autobauer haben bereits damit begonnen, ihr Verhältnis zu ihren Kunden neu zu ordnen. Aus Stuttgart kommt das digitale Angebot „Mercedes Me“. Hier werden den Kunden individuelle Informationen, Autos, Finanzierung und Wartung angeboten. Der Autobauer aus Wolfsburg konterte mit „Volkswagen We“. Gleichzeitig bekommt jeder Kunde eine ID-Nummer, mit der er alle Aktionen rund um das Auto, auch die Finanzierung, individuell bestimmen kann. Das ist der entscheidende Wandel: Um erfolgreich zu verkaufen, wendet sich der Fokus vom Produkt zum Menschen.

Es geht also immer weniger darum, die Angebote der Filiale ins Netz zu stellen, sondern darum, die Wünsche der Kunden zu verstehen, individuelle Problemlösungen zu finden und daraus ein Geschäft zu machen. Künstliche Intelligenz wird dabei helfen.

Sparkassen sind Retail-Banken. Sie verkaufen Produkte, nach Möglichkeit in großer Zahl, so wie andere Unternehmen Kosmetikartikel oder Autos verkaufen. Das war die Businessidee der Industriekultur. Ihre Berater waren häufig mehr Verkäufer, als es den Kunden lieb sein konnte. Diesen unterschwelligen Vorwurf konnten wir in den beiden Fokusgruppen in Erlangen und Hamburg immer noch hören. Durch den Siegeszug des E-Commerce hat sich der Handel geändert. Erst kamen die E-Shops, dann die Plattformen. Die nächste Entwicklung zeichnet sich schon ab, der Direktverkauf, D2C, der Hersteller an den Endkunden. Die Retail-Banken können viel davon lernen. Der Kunde bestellt von zu Hause am Laptop oder mobil mit dem Smartphone. Es geht also immer weniger darum, die Angebote der Filiale ins Netz zu stellen, sondern darum, die Wünsche der Kunden zu verstehen, individuelle Problemlösungen zu finden und daraus ein Geschäft zu machen. Künstliche Intelligenz wird dabei helfen. Die Bezahlmöglichkeiten im E-Commerce sind immer häufiger in die Homepages der Händler integriert. Hier hat die Sparkassen-Welt noch neue Territorien zu erobern. Internet Finanzunternehmen wie PayPal machen das Begleichen der Rechnungen bequem, schnell und vor allem sicher. Selbst wenn sich das Unternehmen das Geld vom Sparkassen-Konto des Kunden holt, verliert die Sparkasse den direkten Kontakt zum Kunden. Früher war im Einzelhandel die Positionierung in der realen Welt entscheidend. An „Lage, Lage, Lage!“ hat sich heute nichts geändert, die Positionierung findet jedoch zunehmend auf den Homepages der E-Commerce-Anbieter statt. Der
allgegenwärtige Zugang zu den eigenen Finanzen der Sparkassen-Kunden ist dabei, sich von der Filiale und den Bankautomaten in die Hosentaschen der Smartphone-Nutzer zu verlagern. Hier wird unsere Studie „Casual Banking“ interessant. Wir haben die zehn wichtigsten Wünsche analysiert und Schlüsse daraus gezogen. Es sind keine technologischen Forderungen, die wir erfahren haben. Sicherheit und Vertrauen werden in einer virtuellen, vernetzten Welt immer wichtiger; dies gilt es, als Interface der Sparkassen zu realisieren.